Potosí und anderes

Auf der Arbeit ging es interessant weiter: wir starteten zwei weitere Workshops, ersterer ein weiteres Mal über die Rechte und Pflichten von Kindern. Wir bereiteten Stationen mit Spielen zu dem Thema vor und hatten morgens eine Percussion-Gruppe dabei, die mit Kindern mit Behinderungen arbeitet. Diese machten dann rhythmische Übungen mit den Kindern und sangen Lieder. Nachmittags war eine andere Gruppe dabei, die Personen auf Stelzen, einen Clown und sogar einen Feuerspucker dabeihatten.

Kurz danach begann der nächste Workshop, diesmal über Gewalt. Dazu wurde eine kleine Theatergruppe engagiert. Diese spielte kurze Szenen aus dem Alltagsleben nach, in denen Gewalt vorkam. Gewalt gegen Frauen, Kinder und auch gegen Männer. Diese waren sehr gut gemacht, für die Kinder aber höchstwahrscheinlich teilweise etwas schwer zu verstehen. Trotzdem fand ich die Idee sehr gut, da wir wissen, dass in vielen der Familien unserer Kinder häusliche Gewalt an der Tagesordnung steht. Da ist es wichtig, klarzustellen, dass dies absolut inakzeptabel ist. Später mussten sich alle noch Clownnasen anziehen und einige Schauspielübungen machen.

Ende November haben hier in Bolivien die Schulferien begonnen, die bis Februar dauern werden. Auch im Cerpi hat sich infolgedessen die Tagesordnung geändert. Die Voluntarier sollen einen zweimonatigen Englischkurs anbieten. Bis jetzt sieht das aber eher so aus, dass sich ein oder zwei Kinder einfinden, denen man dann versucht, ein bisschen was beizubringen.

Eines Wochenendes machten Lena A. und ich uns auf den Weg, den berühmten Dinosaurierpark Sucres kennenzulernen, von dem wir schon einiges gehört hatten. Es stellte sich dann aber heraus, dass in diesem weniger Fossilien und Skelette und mehr lebensgroße Plastiknachbauten von Dinosauriern zu sehen waren. Und das, obwohl in der Gegend um Sucre tatsächlich Dinoüberreste gefunden wurden. Die Dinosaurierfußabdrücke, die man auf einer riesigen Steinwand betrachten konnte, waren dann aber doch ziemlich spektakulär.

Im Hostel kommt langsam eine Art Weihnachtsstimmung auf, die Freiwilligen kriegen Adventskalender geschickt und hängen Weihnachtsdeko auf. Auch ich habe schon einen Plätzchenbackversuch gestartet, der erstaunlich gut ausgegangen ist, obwohl das Ergebnis eher Cookies als tatsächlichen Plätzchen ähnelt. Mir ist das alles im Moment noch ein bisschen suspekt, da das Wetter hier einfach überhaupt nicht weihnachtlich ist und es natürlich viele Sachen gibt, die sich von einer „typischen“ Weihnachtszeit unterscheiden.

Die letzten zwei Wochen fand in Sucre das alljährliche „festival internacional de la cultura“, kurz „fic“, ja genau, statt. In dessen Rahmen gab es unzählige kulturelle Veranstaltungen: Tanz, Musik, Theater, Malerei, Kino… Dreimal versuchten wir, Kinder der Escuela Móvil zu einer dieser Veranstaltungen zu schleifen, und dreimal versagten wir, weil wir zu spät kamen. Das lag daran, dass wir vorher entweder noch ewig über das eine oder andere diskutiert hatten, noch papas rellenas gegessen hatten, das ist gefüllter frittierter Kartoffelbrei, oder ganz einfach zu spät losgefahren waren. Meistens gefällt mir die Arbeit mit der Escuela super, aber wenn wieder und wieder solche einfach vermeidbaren Probleme entstehen bin ich dann doch auch ab und zu ein bisschen angenervt.

Ich selbst bin zu vier Veranstaltungen des fic gegangen, da ich kurzzeitig von einer weiteren Erkrankung außer Gefecht gesetzt wurde. Diese vier waren aber trotzdem sehr interessant: das erste war eine Streetdance-Competition, bei der Hip-Hop und Breakdance auf der zentralen Plaza getanzt wurde, das zweite eine Tanzshow, die traditionelle Elemente, also die bolivianischen Nationaltänze wie Caporales oder Morenada, aber auch modernere Elemente wie zum Beispiel kontemporäres Ballet oder Hip-Hop-Choreos enthielt. Auch durften wir erleben, wie eine Mädchengruppe eine höchstwahrscheinlich selbsterfundene Choreographie zu einem furchtbaren J-Rock-Song darbot. Die dritte Veranstaltung war musikalisch und enthielt eine Jazzband und ansonsten traditionelle bolivianische Musik, die mir tatsächlich immer besser gefällt. Dies alles fand zu Ehren einer der bekanntesten Musikerinnen Boliviens statt, die persönlich anwesend war und vom Bürgermeister Sucres geehrt wurde. Zu diesem Zweck wurde vom gesamten Theater die Hymne Chuquisacas, dem Departamento Boliviens in dem sich Sucre befindet, intoniert. Die heißt übrigens Matilde Casazola, hier singt sie eines ihrer bekanntesten Lieder, „Tanto te amé“, „Wie sehr ich dich liebte“: https://www.youtube.com/watch?v=z_PIMpumoLw

Das letzte Konzert war eine Mischung aus Jazz, Rock und Blues. Da es ziemlich lange her ist, dass ich das letzte Mal auf einem Rockkonzert war, hat mir auch das ziemlich gut gefallen. Insgesamt war ich schon von der Tatsache, dass hier in Sucre so ein Festival stattfindet, ziemlich begeistert. Zudem war der Eintritt zu allen Veranstaltungen gratis, insofern eine tolle Möglichkeit für jeden hier sowohl nationale als auch internationale Künstler kennenzulernen.

Letzten Sonntag sind wir dann in einer Fünfergruppe nach Potosí gefahren, eine Stadt, die mit dem Bus vier Stunden entfernt ist. Für Bolivien ist das gar nichts, das macht man schon mal an einem Sonntag hin und zurück. Dort haben wir dann eine Tour gebucht, die uns durch die Minen des Berges Cerro Rico führen sollte. Zunächst ging es aber zum Ankleiden: wir wurden mit richtigen Minenarbeiteroutfits ausgestattet und danach ging es los. Zunächst besuchten wir die Fabrik, in der aus den Steinen Silber und Zink gewonnen wird. Danach ging es auf in die Mine, die eng, dunkel und niedrig war. Unser Guide Beto, der selbst Minenarbeiter ist, führte uns aber sicher hindurch. Teilweise wateten wir durch übelriechende Brühe, sahen blaue Tropfsteine und kletterten eine abenteuerlich gesicherte Leiter hoch. Ich war dämlicherweise unfassbar müde, da ich in der Nacht zuvor drei Stunden geschlafen hatte, deswegen stieß ich auch ständig mit meiner Birne gegen die niedrigen Decken.

In der Mitte der Mine trafen wir dann auf den „Tio“, den Teufel, der der Gott der Minenarbeiter ist. Dieser sitzt dort, damit die Minenarbeiter ihm Opfer wie Alkohol, Zigaretten, Alkohol, Kokablätter und Alkohol opfern. Wenn sie das tun, werden ihre Wünsche erfüllt. Wir gaben ihm ein wenig Ceibo, also 96-protzentigen Alkohol, der von der einen Hälfte Boliviens getrunken und von der anderen zum Putzen verwendet wird. Danach tranken wir davon auch alle einen Schluck und uns wurden verschiedene Quantitäten von „novios“ versprochen. Mir Glücklicher bot sich unser Tourguide höchstpersönlich an. Der „Tio“ wurde übrigens von den Spaniern eingeführt, um die Minenarbeiter in Schach zu halten. Die heutigen Minenarbeiter sehen ihn aber als den Gott der Minerale an, der ihnen Erfolg bei der Arbeit gibt.

Die Minen in Potosí wurden von den Spaniern instand gesetzt, die indigenas versklavten, damit diese darin arbeiteten – sechs Monate am Stück unter Tage. Millionen starben. Der Berg ist als „der Berg der Menschen frisst“ bekannt. Das Silber, das dort abgebaut wurde, machte Potosí zeitweise zu einer der reichsten Städte der Erde. Heute ist das nicht mehr der Fall. Dennoch ist der Betrieb in den Minen nach wie vor am Laufen. Immer noch ist die Lebenserwartung eines Minenarbeiters gering, sie liegt bei circa vierzig Jahren. Durch die Explosionen des Dynamits wird Staub freigesetzt, der sich auf die Lungen der Arbeiter legt und für Erkrankungen der Atemwege sorgt. Unfälle durch Missgeschicke mit dem Dynamit passieren heutzutage aber eher selten.

Seit zwei Wochen arbeite ich übrigens nur noch halbtags, da ich einen weiteren Sprachkurs begonnen habe, der mich auf eine DELE-Examensprüfung vorbereiten soll, die im Mai stattfinden wird. Der Unterricht hilft mir glaube ich viel weiter, die Hausaufgaben sind aber teilweise sehr zeitraubend. Meine Profe Monica ist sehr unterhaltsam, sie hat zu jedem denkbaren Thema eine sehr spezielle Meinung, wobei sie die meisten Sachen einfach nur „muy triste“ findet. Vor allem alles, was mit ihrem Heimatland Bolivien zu tun hat.